Grußwort

Grußwort von Alfred Buß, Präses i.R. der Evangelischen Kirche von Westfalen

1. Oktober 2018

 

„Freigiebige werden immer reicher, der Geizhals spart sich arm“ sagt die biblische Weisheitsliteratur in Sprüche 11,24. Aus ökonomischer Perspektive betrachtet, reizt diese Weisheit wohl mehr zum Kopfschütteln denn zu einem zustimmenden Nicken.

Und doch ist Freigiebigkeit Markenkern der Martin Luther Stiftung Ruhr (MLSR), sieht sie ihren Stiftungszweck doch „insbesondere verwirklicht durch die finanzielle Förderung von Maßnahmen, die das protestantische Profil in der Öffentlichkeit schärfen sowie die Förderung der evangelischen Bildungsarbeit…“

Dieser Markenkern macht die MLSR für mich attraktiv und reizvoll. Warum? Weil sich darin das evangelische Profil des unlöslichen Zusammenhangs von „Freiheit“ und „Verantwortung“ verwirklicht.

Reformatorisch verstanden, ist Freiheit geschenkte Gotteskindschaft. Kindsein bedeutet: Hier gehöre ich hin. Hier darf ich sein, wie ich bin. Hier muss ich nicht erst etwas aus mir machen. Ich muss nicht darum kämpfen und mich abrackern, Anerkennung zu finden. Die ist mir gewiss. Ich bin und bleibe Gottes Kind. Anerkannt. Geliebt.

Diese Gotteskindschaft schenkt dem Christenmenschen eine tief verankerte Freiheit – gegenüber so machen Urteilen und Anmaßungen der Mitmenschen. Luther bringt das auf den Punkt: Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan.

Und doch ist Freiheit nicht nur Freiheit von…, sondern zugleich immer auch Freiheit für… So folgt bei Luther notwendig der zweite Satz: ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. Das klingt wie das genaue Gegenteil, und ist doch die logische Folge: Ein Christenmensch beugt sich vor keinem anderen Menschen, wohl aber für seinen Nächsten. Das ist Freiheit für Beziehungen, für Mitmenschlichkeit und Verantwortung. Solche Freiheit verbindet Menschen. Sie entdecken es als Reichtum, aufeinander angewiesen zu sein.

Verantwortung ist das Bindeglied zwischen Individuum und Gemeinwesen, zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Heute und Morgen

Wer darin ein Geizhals ist, der spart sich arm, weiß die biblische Weisheit.

Die Martin Luther Stiftung Ruhr wirkt nicht nur durch Geld: Sie wirkt auch durch Inhalte, durch evangelisches Profil, durch Handeln. Eben durch praktizierte Verantwortung. Solche Freigiebigkeit macht reich. Und darum werbe ich für sie.

Ich werbe für sie in einer Zeit, in der ein Freiheitsverständnis unser Zusammenleben bedroht, das nur noch sich selber sieht: The first choice I  am. Welche Gefahr darin liegt, mag diese Herbstgeschichte anschaulich machen: Zwei Drachen zappeln hoch in der Luft. Sagt der eine zum anderen: Wie schön ist es, ein Drachen zu sein. Diese Freiheit zu fliegen! Wenn doch nur die lästige Schnur nicht wäre, dann könnte ich noch ganz andere Dinge tun. Kaum hat er es ausgesprochen – Schwupp – reißt die Schnur, die ihn hielt. Und der Drachen hebt ab in ungeahnte Höhen. Er jubelt vor Glück. Endlich totale Freiheit und keine hemmende Schnur mehr! Doch jäh reißt eine Windböe ihn mit, torkelnd kann er sich nicht mehr fangen. Im Sturzflug geht’s nach unten, der Erde entgegen. Schließlich verfängt er sich in einem Baum und sitzt fest zwischen Himmel und Erde, zerzaust und zerstört.

 

Es ist wohl wahr: „Freigiebige werden immer reicher, der Geizhals spart sich arm“… oder sogar kaputt, wenn er sich nur selber sieht.